Ich finde es ja immer wieder faszinierend, wie viele Begriffe wir immer noch verwenden, die ursprünglich aus dem Bereich der Textilherstellung stammen. Als ich im Dezember meinen Plüschmantel per Hand mit Einlage versehen habe, lernte ich, dass man das "unterschlagen" nennt. Die Einlage wird mit kleinen quer gesetzten Stichen am Oberstoff befestigt. Ähnlich wie beim Pikieren dürfen dabei nur wenige Fäden des Oberstoffes mitgefasst werden. Außerdem werden die Reihen mit deutlich mehr Abstand gesetzt als beim Pikieren, da es ja nicht, wie beim Kragen pikieren darum geht, Stabilität zu verleihen.
Bei Jacken wird teilweise die Einlage auch lose gelassen und nur an den Randbereichen befestigt, damit sie Spiel hat und den Fall des Oberstoffs nicht ändert.
In meinem Fall hatte ich das Problem, dass ich nur Strickplüsch finden konnte, eigentlich aber Webpelz gebraucht hätte. Ich habe mich also für ein Mittelding entschieden (etwas mehr Stabilität durch mehrere Reihen Handstiche).
Während ich da also sass und Reihe um Reihe nähte, fragte ich mich, ob das Wort "unterschlagen" im heutigen Sinn wohl ursprünglich aus der Schneiderei stammte. So was lässt mir dann keine Ruhe, kennt ihr das auch? Ich will das dann wissen, warum auch immer :-) Ich habe da wohl einen schweren Fall von Wikipeditis.
Die Antwort lautet: Die Herkunft ist nicht ganz geklärt, da "unterschlagen" ursprünglich nur bedeutet, "eine Zwischenschicht einzuziehen". Das Wort wurde sowohl in der Schneiderei für das Hinzufügen von Einlagen, aber auch von Zimmerern verwendet, wenn innerhalb einer Wand eine Zwischenschicht eingezogen wurde. Ob das jetzt nun bedeutet, dass Geld und Wertsachen in Mäntel eingenäht oder hinter Zwischenwänden versteckt wurden: Auf jeden Fall bedeutet es, dass man einen abgetrennten Bereich schafft, der auch für kriminelle Zwecke herhalten kann :-)
Ich schlage jetzt mal einen kühnen Bogen zu unserem letzten Sommerurlaub, denn ich schulde Euch ja noch einen Reisebericht dazu. Wie immer habe ich auch dabei meine Leidenschaft nicht außen vor gelassen.
Unsere Nordreise, und die Geschichte des Textil-Handels
Wir haben eine Nord-Tour gemacht, über Hamburg nach Kopenhagen und dann nach Malmö. Zurück sind wir dann per Frachtschiff über Lübeck-Travemünde. Der Handel, der zwischen Malmö und Travemünde abgewickelt wird, ist Wahnsinn: Allein das Hafengebiet in Malmö ist riesig, und die Frachter so groß, das ganze Lastwagen in den Bauch des Schiffes fahren. Das einmal mitzuerleben, war schon irre. Dagegen war der Lübecker Hafen geradezu winzig, und der Bahnhof führt auch nur noch ein Gleis, da mittlerweile alles per Laster abgewickelt wird.
Ich sammele ja auf Reisen gerne Street Art, weil sie mich inspiriert und auch etwas über das Land und deren Bewohner aussagt. Oder auch ernst gemeinte, aber unfreiwillig lustige Straßen- und Warnschilder :-) In Schweden und Dänemark ist alles viel ordentlicher, es gibt weniger Street Art, und selbst die ist sehr ästhetisch...
... In Hamburg dafür umso mehr. Wenn ich nochmal da bin, werde ich mir auf alle Fälle das Karolinenviertel mit all den Kreativschaffenden dort nochmal genauer anschauen, es war leider Sonntag, als wir da waren. Aber ich habe Hutmacherinnen, Maschinenstrick-Ateliers und viel subversive Streetart gesehen, das wäre also unbedingt nochmal eine Reise wert.
Und auch das Hamletschloss haben wir uns natürlich angesehen. Dort ist das berühmte Zitat zum Sein oder eben halt auch nicht, allgegenwärtig :-)
Interessant war auch der Kontrast jeweils zwischen den dänischen/schwedischen Städten Copenhagen-Malmö sowie Helsingborg-Helsingør. Die schwedischen Städte Malmö und Helsinborg sind stark von der Industrie geprägt, was man an der Architektur sieht. Durch die Öresundbrücke und generell den Handel/Austausch mit Dänemark haben diese ehemals armen Hafenstädte profitiert, die Hafengebiete wurden restauriert und modern bebaut. Das gefällt sicher nicht jedem, ich fand es fantastisch. Die dänische Seite ist lieblicher, dafür nicht ganz so interessant, zumindest für mich. So ist der ehemalige Frachtkran im ersten Bild nun ein schwebender Kinderspielplatz, und die neu gebauten Siedlungen haben eigenen Zugang zum Wasser, der Hafen wurde zur schönen Badepromenade mit Blick auf die Öresundbrücke, und in dieses Hausboot würde ich ohne zu zögern einziehen. Fantastisch.
Die Europäische Hanse
Meine Großmutter stammt ursprünglich aus Lübeck, daher habe ich irgendwie eine Verbindung zu dieser Stadt, es lohnt sich aber auch so, Lübeck mal zu besuchen. Dort gibt es das tolle Europäische Hansemuseum über die berüchtigte Lübecker bzw. Europäische Hanse.
Eine extrem wichtige Stellung nahm dabei der Handel von Textilien ein, neben dem Handel mit Lebensmitteln und Gewürzen. Was ich bis dato nicht wusste war, dass schon damals nicht nur exquisite Stoffe gehandelt wurden. Man kennt ja den Begriff der "Seidenstraße", was ja irgendwie impliziert, als würden nur kostbare Seiden und Gewürze gehandelt werden, während der normale Bauer sich seine Kleidung noch selber herstellt. Dem ist nicht so. Schon damals gab es, wenn man zynisch sein möchte, "billig-Ware". Diese wurde unter anderem in Deutschland hergestellt, währen Belgien und England hochwertigere Tuchwaren produzierten.
Als wir dort waren gab es gerade eine Sonderausstellung Guter Stoff, die diese Parallelen beleuchtet hat (leider mittlerweile schon gelaufen). Die wollte ich natürlich unbedingt sehen.
Insgesamt waren wir dann aber über drei Stunden in der Dauerausstellung des Museums, weil es so interessant war. Und auch die Architektur des Museums ist toll. Wer sich also für Kulturgeschichte interessiert, der ist dort richtig :-) Für die Sonderausstellung war dann keine Zeit, wir sind dann am nächsten Tag nochmal wiedergekommen, im Rahmen der Museumsnacht.
Hier habe ich eine Rezension zur Ausstellung gefunden, das tolle Poster im Hintergrund habe ich mir als Postkarte natürlich mitnehmen müssen und in meinem Arbeitszimmer aufgehängt. Meikes interessanten Blog zu Normierung und Ökonomisierung von Körpern werde ich mir auf jeden Fall mal genauer ansehen. Damit wäre man nämlich wieder bei dem Thema, was für eine Befreiung es sein kann, sich seine eigene passende Kleidung selber herstellen zu können. Für mich bedeutet das in erster Linie, nicht dem Angebot an Plastik-Klamotten ausgeliefert zu sein (oder alternativ eben, ein Vermögen ausgeben zu müssen).
Neben interessanten Fakten, die den Konsum von Textilien im Mittelalter vs. heute veranschaulichten, konnte man auch selber teilnehmen, hier sehr nett umgesetzt mit bunten Fäden. Sehr gelungen und kreativ!
Lübeck war lange eine wohlhabende und auch autonome, weil reichsfreie Stadt. Der Handel florierte zur Zeit der Hanse, und ihr Einfluß dadurch war groß. Schon damals war der globale Handel nicht eindeutig negativ oder positiv: Der positive Aspekt von globalem Handel war ja auch schon immer, dass dann das Interesse an Kriegen und Angriffen sinkt, weil dies den Wohlstand gefährden würde. Lübeck hat sich durch mehrere Stadtmauern und Stadttoren gegen Angriffe gesichert, von dem bekanntestem, dem Holstentor wurde aber nie auf Belagerer geschossen. Dort findet man auch den Leitspruch der Stadt Concordia domi foris pax („Eintracht innen, draußen Friede“). Die Reichen Lübecker wollten schlicht nicht riskieren, dass sie ihre kostbaren Handelsgüter verlieren, weswegen Zusammenschlüsse und Abkommen mit anderen Städten und Ländern zwecks sicherem Handel entstanden. Und auch bei die Versorgung von Armen ließen sich die Lübecker nicht Lumpen, auch das natürlich nie ganz uneigennützig, wollte man sich doch einen Platz im Himmelreich sichern.
Und für alle, die noch mehr Wissendurst haben:
Mein wundervoller Mann, der meine Leidenschaft für Textilien durchaus verstehen kann, gottseidank, sonst könnte er die Fussel des Plüschmantels in der ganzen Wohnung, auch direkt nachdem ich gerade gesaugt habe, gar nicht ertragen... Also, mein Mann hat mir zum Geburtstag letztes Jahr ein Buch geschenkt:
The Fabric of Civilization - How textiles made the world von Virginia Postrel
Und auch dieses schöne Buch wurde mir geschenkt, und zwar von meinem Vater:
Frauen, die den Faden in der Hand halten von Thomas Blisniewski
Fortschritte beim Plüschmantel
... und jetzt nochmal einen genauso kühnen Bogen zurück zu meinem Plüschmantel: Ich bin jetzt fast soweit, das Futter einzusetzen. Das nennt man übrigens "ausstaffieren", ein weiteres schönes Wort, was immer noch verwendet wird, wenn auch mit anderer Bedeutung. Das mache ich mittlerweile immer per Hand und eben dem Staffierstich. Der Staffierstich ist im Grunde ein Rückstich, nur dass nicht am Ende des letzten Stiches eingestochen wird, sondern viel kürzer. Wenn das direkt an der Kante gearbeitet wird, ist die Naht nicht sichtbar. Manchmal verwende ich zur Dekoration aber auch den Punktstich. Auf der Vorderseite entstehen dadurch kleine Pünktchen. In der Maßschneiderei werden so klassischerweise Reißverschlüsse eingesetzt, und auch meine Lübecker Oma hat das so gemacht, die hat nämlich als sie jünger war, auch viel genäht. Als ich klein war, hatte sie leider schon Rheuma, ich habe sie also nie nähend erlebt. Aber ihre Knopfsammlung habe ich geerbt :-)
Jetzt muss ich mich damit sputen, denn sonst ist der Winter rum und mein Mantel noch nicht fertig, das wäre schade.
Viel Spaß Euch allen bei der kreativen, meditativen, politischen, aktivistischen oder auch einfach pragmatischen Ausübung dieser wundervollen Tätigkeit, dem Nähen. Irgendwann schreibe ich nochmal einen aktivistischen Beitrag, warum man bei Frauen immer sagt, dass sie "nähen", bei Männern aber, dass sie "schneidern". Spoiler: Auch das ist historisch begründet und hat was mit der Geschichte der Gilden zu tun.
Eure Anne Sophie
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