Dieses Jahr haben wir unseren Spätsommer-Urlaub im spanischen Baskenland, genauer in Bilbao, San Sebastian und Umgebung verbracht. Ich muss gestehen, dass ich vorab nicht so viel über die Unterschiede zwischen dem Baskenland und dem Rest von Spanien wusste, was die Entdeckungstour aber auch sehr spannend machte, und einige interessante Fakten, natürlich mit Bezug zur Bekleidung und Handwerk, teile ich hier mit Euch.
Auf der Suche nach Wolle
Los ging es in Bilbao. Die Hafenstadt grenzt an die Berge an und ist selbst sehr hügelig. So hügelig, dass die Stadt nicht nur sehr viele Aufzüge hat, sondern auch Rolltreppen! Genial! Bilbao ist ein wilder Mix aus neu, alt, aufpoliert und etwas ramponiert, Kunst von Weltrang und Grafitti. Mir hat es sehr gefallen, obwohl es keine im klassischen Sinne "schöne" Stadt ist. Es gibt aber ein sehr lebendiges altes Viertel, Casco Viejo, die alte Stadt. Dort geht es sehr trubelig zu, und es sind neben Touristen auch viele Einheimische unterwegs. Die Einheimischen hängen ihre Wäsche oft zum Trocknen aus dem Fenster, der geniale Wäschetrockner mit integriertem Schirm heißt hier "Marta" nach der Erfinderin.
Natürlich hatte ich mich vorab auch nach Wollgeschäften und Stoffläden erkundigt, denn ein schönes Knäuel Wolle, am liebsten von lokalen Firmen, ist immer noch mein Lieblings-Mitbringsel. Zunächst war ich guten Mutes, denn schließlich kam das Sticken mit den Arabern und Nordafrikanern nach Spanien, und von da über Italien über die Alpen nach Nordeuropa. Spanien ist also sowas wie die europäische Wiege des Strickens. Was ich lange nicht wusste war, dass dies erst recht späht geschah: Erst im Mittelalter lernte man in Nordeuropa die Technik des Strümpfestrickens mit 5 Nadeln, und es schlug ein wie eine Bombe. Verständlich, denn vorher umwickelte man sich die Beine mit Bändern. Nur die reicheren Leute hatten genähte Strümpfe aus leicht elastischen Gewebe. Bei diesem wurde die Elastizität durch einen stark gedrehten Kettfaden erreicht. Strümpfe stricken war also ein deutlicher Fortschritt, sowohl was die Bequemlichkeit, als auch die Verfügbarkeit für ärmere Schichten anbelangte.
Wir verdanken den spanischen Mauren also das Stricken, und auch das Merino-Schaf stammt von dort. Auch heute gibt es eine rege Strickkultur in Spanien. Die (mir) bekannten Marken We are Knitters und Katia kommen aus Spanien, in Barcelona gab es kürzlich ein großes Strick-Festival, und auch Street-Art mit Stricken ist dort verbreitet. Doch viele der Läden, die mir Google für Bilbao herausgegeben hatte, waren oft sogenannte Mercerien, also eher Kurzwarenläden (die übrigens bemerkenswert oft auch Unterwäsche verkauften..? ). Kaum Wolle. Nanu? Sticken, Nähen, all das scheint durchaus sehr populär. Viele Schaufenster sind mit alten Nähmaschinen dekoriert, z.B. mit der im Baskenland hergestellte Sigma-Maschine, aber auch eine Elna Grasshopper habe ich entdeckt. Aber weit und breit keine Wolle.
Einen sehr schönen Laden konnte ich dann doch noch finden, und zwar Lanas Tricotoki. Ein sehr schöner Laden, modern, schön dekoriert, tolle Wolle. Naja, zumindest von außen sah er sehr schön aus: Wir hatten die Wochentage mit schönem Wetter mit Wandern und Schwimmen gehen verbracht, und wollten den Laden an einem Tag, an dem es regnen sollte, auf dem Weg zum Guggenheim-Museum besuchen. Aber leider hatte der Laden am Samstag zu! Na gut, dann eben am Montag Vormittag, dachte ich, bevor wir unsere Weiterreise nach San Sebastian antreten wollten. Ich wusste ja mittlerweile, dass viele Läden in Spanien Über Mittag zu machen und dann erst ab 17 Uhr wieder auf. Ich hab schön blöd geguckt, als ich sah, dass der Laden Montags überhaupt erst nach 17 Uhr aufmacht! Stand zwar auf der Website, hab ich aber wohl überlesen. Sehr schade!! Zwei Marken hätten mich interessiert: BLana aus Spanien, und Rosa Pomar aus Portugal. Beides Firmen, die nur Naturfasern anbieten. BLana möchte die Spanische Merino-Wolle wieder stärker vermarkten, dieses Garn hätte ich zu gerne getestet. Ansonsten waren schöne Marken im Angebot, aber nur aus Dänemark, Italien, Japan und England??? Das kam mir nun langsam wirklich spanisch vor.
Na gut, dann halt in San Sebastian! Dachte ich zumindest, aber Pustekuchen. Und dabei gab es doch sooo viele Schafe hier! Ich habe jeden Tag Cuajada aus Schafsmilch gegessen, köstlich. Cuajada ist eine Art Quark, typisch für Nordspanien und wird in diesen reizenden Tontöpfchen verkauft. Er schmeckt ganz mild, kein bisschen "schafig", sondern einfach nur sahnig. Überhaupt, den (nord-)spanischen Süßspeisen konnte ich schwer widerstehen: Sorry, Italien und Frankreich, aber das beste Dessert ist nicht Tiramisu, auch nicht Creme Brulee, sondern Goxua (oder auch Goshua geschrieben): Eine Schicht Schlagsahne, eine Schicht Keks, eine Schicht Crema castilliana.
Und schaut Euch erst mal diese Törtchen an!
Aber ich schweife ab, zurück zu den Schafen. Ich hatte immer noch keine spanische Wolle gefunden. Das veranlasste mich, mich etwas mit der Geschichte und der Kultur der Basken zu beschäftigen, denn es konnte doch nicht sein, dass sie dort nicht stricken, wo sie doch so viele Schafe hatten! Außerdem kommt doch die Baskenmütze von dort, und die wird schließlich auch gestrickt, oder? Ich war verwirrt.
Also nochmal von vorn: Die Mauren dringen in Spanien ein und bringen das Stricken nach Spanien. Ganz Spanien? Nein, eine von unbeugsamen Basken bevölkerte Region leistet Widerstand...
Humboldt beschrieb, dass die Basken sich die Beine mit einem Stoffstreifen aus Wolle umwickelten. Textilien waren traditionell aus Leinen. Er beschreibt die Basken auch als ein stolzes, traditionsbewusstes Volk, mit einer eigenen Sprache. Die baskische Sprache Euskari ist tatsächlich mit keiner anderen europäischen Sprache verwandt. Es ist keine indogermanische Sprache, die Herkunft ist nach wie vor ungeklärt. Anscheinend war der Einfluss der Mauren dort nicht sonderlich hoch, vielleicht war Stricken also gar nicht sooo üblich im Norden von Spanien? Tatsächlich sind nämlich die Mauren gar nicht bis ins Baskenland vorgedrungen. Und auch die Baskenmützen, die aus den gestrickten Mützen der Schäfer entstanden ist, ist nicht sonderlich alt. Zunächst nur von baskischen Bauern und Fischern getragen, wird die Baskenmütze erst im 19. Jahrhundert zum Markenzeichen der Basken und erlangt ab dem 20. Jahrhundert Weltberühmtheit, vorangetrieben durch die Beliebtheit unter Künstlern und Schriftstellern. Die Schafrasse, die in Nordspanien gehalten wird, ist außerdem eine alte baskische Milchrasse names Latxa, und ist tatsächlich nicht sehr nah mit dem Merinoschaf verwandt und darf auch nicht mit diesem gekreuzt werden. Das Wort "Latxa" auf Baskisch bedeutet "rau", die Wolle ist sehr rau und fetthaltig und wird nur als Düngemittel verwendet. Ahaaaa! Rätsel gelöst!
Also: Wer Strickwolle sucht, wird in Spanien eher in Barcelona oder Sevilla fündig, im Norden kann man dafür köstlichen Quark und Käse aus Schafmilch essen.
Cristóbal Balenciaga, ein gebürtiger Baske
Cristóbal Balenciaga wurde in Getaria geboren, ein kleines Städtchen direkt an der Küste, etwa 30 Minuten Fahrt vom mondänen Seebad San Sebastian entfernt. Dort steht auch das sensationelle Cristóbal Balenciaga Museo, das ihr unbedingt besuchen solltet, wenn ihr in der Region seid. Man kann von San Sebastian aus mit dem Bus dorthin fahren. Auf der Website kann man übrigens auch digitale Ausstellungen ansehen.
Das Gebäude selbst ist fantastisch, das Licht ist toll, und die Präsentation der Kleider ist ebenfalls sehr gelungen. Neben den finalen Kleidern kann man auch einige Skizzen und Nessel-Modelle bewundern, was ich besonders spannend fand. Nicht nur, dass man die Konstruktion dadurch sehr gut nachvollziehen kann, man kommt dem Designer auch besonders "nah" dadurch, dass darauf Notizen, Nahtlinien und andere Details handschriftlich vermerkt sind. Fantastisch!
Auch einige Lichtboxen zeigen, wie Kleidungsstücke drapiert, gefaltet und mit Bleigewichten beschwert wurden.
In ganzen 6 Räumen kann man, zeitlich geordnet, die Entwicklung der Marke nachverfolgen. Balenciaga hat zunächst die Marke Eisa Costura gegründet, dieser Straße im Zentrum von San Sebastian (s.u. rechts). Diese behielt er auch noch eine Zeitlang, als er sein Haute-Couture-Label "Balenciaga" gründete. Waren die ersten Modelle zwar schön, aber eher klassisch, so konnte man von Raum zu Raum nachverfolgen, wie die Entwürfe immer abstrakter und auch minimalistischer, was die Nahtführung betrifft, wurden. Gegen Ende bestanden die Entwürfe aus geometrischen Formen wie Kugeln oder Trapeze. Er hat die Boule-Form, das Sackkleid und das Baby-Doll-Kleid populär gemacht oder vielleicht sogar erfunden, wenn man so will.
Zuletzt wurden seine Entwürfe wieder konventioneller und verloren für mich etwas an Originalität. Am Ende der Ausstellung sieht man Stewardessen-Uniformen, die er für eine Airline entworfen hat, und die auch genau so aussehen. Es scheint mir gut nachvollziehbar, dass er in den 60ern sein Geschäft aufgab. Die Modelle schienen nicht mehr so recht in die Zeit zu passen, fast schon etwas bieder.
Interessant fand ich auch eine Sonderausstellung, die gerade lief: Tom Kublin für Balenciaga. Der Fotograf Tom Kublin hat für Balenciaga fotografiert, zunächst um Plagiarismus vorzubeugen. Später hat er auch Video-Dokumentationen sowie Werbefilme gedreht. Besonders spannen fand ich hier einen kurzen Clip, der Cristóbal Balenciaga, ein Model, sowie weitere Angestellte im Trubel einer Show-Vorbereitung zeigen. Offensichtlich ist er mit dem Sitz des Kleides an der Schulter nicht zufrieden, was schließlich dazu führt, dass er die Schulternaht wieder aufreißt, und zwar relativ resolut. Das hatte ich absolut nicht erwartet, denn schließlich handelte es sich um teure Haute-Couture-Kleider. Außerdem wirkte er zunächst so ernsthaft und sachlich in seinem Laborkittel!
Man sah, dass er absolut auf das Kleidungsstück fokussiert war und wahrscheinlich eine genaue Vorstellung im Kopf hatte.
Mir hat es im Baskenland sehr gefallen, und wir wollen wiederkommen. Man kann dort auch sehr schön Wandern, denn der Camino del Norte, der ursprüngliche Jakobsweg, verläuft dort die Küste entlang. Wir konnten aus Zeitgründen nur ein paar Abschnitte wandern. Und auch in die Naturparks in den Bergen wollen wir nochmal. Spätestens, wenn es einen Nachtzug nach Barcelona gibt, der geplant sein soll, werden wir auf jeden Fall wiederkommen!
Viele Grüße,
Anne Sophie
PS: BLana werde ich trotzdem austesten, denn ich habe einen Laden in München gefunden, der diese Marke führt. Und eine Baskenmütze der letzten spanischen Firma Elosegui hab ich mir dann doch noch schnell am Flughafen gekauft.
Kommentar schreiben
Twill & Heftstich (Freitag, 14 Oktober 2022 09:22)
Leider kann ich nicht Stricken. Das steht auch noch auf meiner Liste der Dinge, die ich unbedingt mal machen will. Klingt nach einer Reise, absolut nach meinem Geschmack. Danke fürs virtuelle Mitnehmen. Lieben Gruß Manuela