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Das Thema Umweltschutz ist, so scheint es, nun im Bewusstsein vieler Menschen angekommen zu sein, auch wenn sich daraus noch nicht zwingend eine konkrete Handlung ergibt. Aber das beklemmende Gefühl, dass die Zeit des Schwelgens im Überfluss und der simplen Freude an schönen Dingen vorbei ist, das ist da. Das betrifft natürlich auch und gerade die Mode. Mir war lange nicht bewusst, dass Textilmüll SO weit oben rangiert, man denkt viel eher an Abgase und Plastikmüll. Aber klar, auch Papier in großen Mengen ist ein Problem, Textilien mit Farbstoffen sind es auch, erst recht wenn sie aus Kunstfaser sind. Da hilft auch Recycling nix, letztlich landet das Plastik im Meer.
Manuela von Twill und Heftstich berichtete hier von der Documenta und der Nest collective, die Kunst aus Altkleiderballen machten. Sehr interessant, und ich bin voll bei diesen Künstlern. Diese Altkleider kommen aus der westlichen Welt. Wir produzieren und konsumieren so viel, dass wir hier vor Ort mit dem Müll gar nicht mehr fertig werden, und es ist bitter, dass wir uns nicht selber damit befassen, sondern den Müll einfach anderswo abladen. Die Kommentare unter ihrem Artikel zu Nachhaltigkeit beim Nähen hat mich wieder daran erinnert, worüber ich schon länger schreiben wollte.
Denn natürlich konsumieren auch alle Näherinnen mehr als man "bräuchte". Auch mich treibt diese Frage um, und da gibt es auch vermutlich keine einfache Lösung für dieses Dilemma. Ich sehe es so:
Wenn viele Leute etwas tun, erreicht man mehr, als wenn eine einzige Person auf alles verzichtet. Ich las mal, wie viel Tonnen Plastik eingespart werden könnte, wenn jeder New Yorker eine Tüte weniger pro Woche nutzen würde. Eine! Die genaue Zahl weiß ich nicht mehr, aber es war beeindruckend.
Und nun in einem weeeeeiiiiiten Bogen zum heutigen Thema, nämlich warum es manchmal besser sein kann, etwas mehr von einem Stoff zu kaufen, dafür weniger verschiedene. Was uns nämlich die Industrie voraus hat, ist Effizienz.
Das Stichwort lautet rationelles Zuschneiden, da es sich die Industrie schlicht nicht leisten kann, so viel Verschnitt zu produzieren, wie ich als Hobbyschneiderin das früher gemacht habe. Und wenn ich jedes Kleidungsstück aus anderen Stoffen nähe, dann habe ich für alle Stoffe Verschnitt. In dem Beispiel im obigen Link wird gleich ein ganzer Anzug zugeschnitten, und die Zwischenräume bei den Schnitteilen optimal ausgenutzt. Ich habe auch schon noch extremere Puzzle-Beispiele gesehen, was dann natürlich auch zu Lasten der Passform gehen kann. Z.B. sitzen RTW Blusen oft deswegen am Rücken so schlecht, weil an dem angeschnittenen Unterarmzwickel gespart wird. Je gerader das Kleidungsstück, desto weniger ungenutzte Zwischenräume. Um die Passform zu erhalten und dennoch die Fläche optimal auszunutzen, füge ich mittlerweile zusätzliche Nähte ein und setze Teile an. Man hat dadurch ein paar Extra-Schritte, aber es spart Stoff und liefert in manchen Fällen sogar ein besseres Ergebnis.
- Was ich immer mache ist, den Untertritt für die Hose separat zuzuschneiden. Die Extra-Naht erhöht die Stabilität, und außerdem kann man dann, wie gezeigt, den Zwischenraum besser ausnutzen. Selbst wenn man keine Jacke näht, kann man die Hosenteile gegenüberlegen und den Zwischenraum für Taschenklappen/-Beutel nutzen.
- Lange Stücke wie Hosenbund oder Gürtel hinten mit einer Naht versehen, dann braucht man nicht so viel Länge. Man kann Hosen auch besser auslassen, falls das nachträglich nötig ist.
- Hosenbund läng zuschneiden, das geht gut neben den Hosenbeinen. Wenn es kein Formbund ist, kann man auch gut die Webkante mit einbeziehen.
- Taschenbeutel aus Resten zuschneiden und nur den sichtbaren Teil mit einem Beleg versehen, das ist sowieso einfacher, wenn man Stoffe mit Muster verarbeitet.
- Man kann, wenn es nicht ganz reicht, auch stückeln, und die Naht in einer Paspeltasche verschwinden lassen. Auf diese Weise habe ich auch schon Taschen zu taschenlosen Schnittmustern hinzugefügt. Kleidungsstücke ohne Taschen sind eh indiskutabel :-)
- Wenn das nicht passt, kann man Abnäher auch verlegen, und das Schnittteil dann auseinanderschneiden, z.B. als Wiener oder als Prinzessnaht.
- Paspeln, Belege, Unterkragen, innerer Bund und andere Teile können auch aus anderen Resten gearbeitet werden.
- Aufschläge an Ärmeln und Hosenbeinen können immer angesetzt anstelle von angeschnitten werden, auch das kann bei wabbeligen Stoffen sogar sinnvoll sein.
- Webkanten können an Vorderkanten dekorativ eingesetzt werden.
Ich zeige hier jetzt mal eine Serie von Westen, alle drei basieren auf dem selben Grundschnitt, jedoch verschieden gestückelt und zugeschnitten. Ich habe aus den jeweiligen Stoffen Hosen oder Blazer genäht, es blieben noch ziemlich kleine Reststücke über.
Links seht ihr den Originalschnitt. Das Vorderteil wird aus einem Stück zugeschnitten, mit einem tiefen Abnäher vorne von der Spitze bis zum Brustpunkt.
Dadurch braucht man, obwohl es eine kleine Weste ist, recht viel Stoff. Für diese Variante hat es gereicht. Der Rücken und das Innenfutter ist aus Viskose.
Deshalb habe ich für die zweite Weste den Abnäher in einem Bogen aufgeschnitten (Wiener Naht). Dadurch konnte ich für die mittlere Weste auch schmale Reste verarbeiten. Leider hat es aufgrund des Karomusters immer noch nicht gereicht, so dass ich oben links noch eine Quernaht einfügen musste. Wenn ich das Muster ignoriert hätte, wäre es auch so gegangen, aber das lässt mein innerer Perfektionist nicht zu... Die Quernaht habe ich in der zusätzlichen Paspeltasche versteckt.
Ganz rechts wurde es dann ein richtiges Puzzle. Die Paspeltasche wanderte nach links direkt an die Seitennaht. Dadurch konnte ich das Seitenteil nochmal unterteilen und WIRKLICH kleine Stücke verarbeiten. Die Paspel habe ich aus einem Jeansrest zugeschnitten, ebenso wie den Riegel am Rücken. An der Vorderkante habe ich die Webkante mit einbezogen, zu sehen an dem rosa Streifen.
Tragebilder folgen noch! Auch die eigentlichen Kleidungsstücke habe ich noch gar nicht gezeigt, aber die sind auch eher was für den Herbst. Der Blazer zur Weste rechts ist eine vielgetragene Lieblingsjacke, ihr könnt sie hier erahnen, zusammen mit den rosafarbenen Handschuhen. Die Hose zur Weste links ist auch gut gelungen. Aber da beides aus Wolle ist, passt es momentan nicht so recht.
Glücklicherweise mag ich Anzüge und Anleihen an die Herrenmode und wenn man sich auf einen Stoff fokussiert, braucht man auch weniger verschiedene Sorten Nähgarn und Overlockgarn. Es mag vielleicht erst mal Spaß machen, in vielen verschiedenen Stoffarten zu schwelgen und sich vorzustellen, was man daraus machen könnte, aber letztlich habe ich an dem Handwerk genauso viel Freude, wenn es kein neuer Stoff ist sondern einer, den ich bereits einmal vernäht habe. Und es ist ein erster Schritt in Richtung eigene Schnittentwicklung, wenn man das Schnittmuster so lange schiebt, dreht und schneidet, bis es passt. Das macht sehr viel Spaß und ist auch befriedigend, wenn nur noch Fitzelchen übrig bleiben. Oft sind es gerade diese gut gelungenen "Reste"-Projekte, an denen ich dann die meiste Freude habe, und die ich dann am meisten trage. Plus, meine Garderobe passt besser zusammen, ich habe also weniger Einzelteile, die keinen Kombipartner haben. Window-Shoppen und Stoffe gucken kann man ja trotzdem :-) Nur besitzen muss ich nicht alles.
Ich denke, dass ich insgesamt dennoch weniger konsumiere, seit dem ich meine Kleidung selber nähe, zumindest, was RTW betrifft. Ich könnte natürlich noch mehr verzichten, aber das würde mich unglücklich machen, und was hätte die Welt davon? Der Effekt wäre marginal, ich halte mehr davon, Dinge selber zu ändern, im Kleinen wie im Großen, und dann zu versuchen, andere zu inspirieren und mitzunehmen.
Viele Grüße,
Eure Anne Sophie
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Twill & Heftstich (Montag, 04 Juli 2022 21:30)
Der Ansatz "Jeder eine Plastetüte weniger!" ist mir sehr sympathisch; aber scheinbar schwer zu kommunizieren, zumindest habe ich manchmal den Eindruck, dass er neben den Ignoranten auf der einen Seite und den Apokalyptikern auf der anderen etwas untergeht. Sehr inspirierend mit Deinen "gestückelten" Westen! Und ja bitte Tragebilder. Herzliche Grüße Manuela
P.S. Dank die für die Erwähnung.